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7% für Hafermilch

Eine vom Café-Betreiber, Röster und Kaffee-Händler Suedhang in Tübingen ins Leben gerufene Kampagne fordert die Senkung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Milchersatzprodukte, wie z.B. Hafermilch, auf 7%. Begründet wird das im Wesentlichen mit ökologischen Aspekten, da z.B. die Herstellung pflanzlicher Erzeugnisse im Gegensatz zu der von tierischen weniger Treibhausgase und Flächenverbrauch verursacht und keine Probleme beim Tierwohl entstehen können. Der Kampagne sind weitere Cafés gefolgt. Es wird angestrebt, eine Tasse Kaffee mit Hafermilch mit 7% Mehrwertsteuer zu verkaufen und damit einen Bescheid des Finanzamtes zur Nachforderung der zu wenig abgeführten Umsatzsteuer zu veranlassen. Gegen den Bescheid will man dann Einspruch einlegen, um eine juristische Klärung der Rechtmäßigkeit der steuerlichen Ungleichbehandlung von Kuhmilch und Milchersatzprodukten herbeiführen. Die Initiatoren der Kampagne gehen davon aus, dass die Frage am Ende vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird.

 

In einem beachtenswerten Gutachten [1] leitet der Berliner Jurist, Alexander Dobes, eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Senkung der Mehrwertsteuer für Milchersatzprodukte aus den Artikeln 20a und 20 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) her. Art. 20a GG bestimmt Umwelt-, Klima- und Tierschutz als Staatsziel. Art. 20 Abs. 1 GG beinhaltet u.a. das Sozialstaatsprinzip. Neben den genannten Vorteilen pflanzlicher Produkte in Sachen Klima- und Tierschutz stützt Dobes seine Argumentation darauf, dass es Haushalten mit niedrigem Einkommen ermöglicht werden müsse, nachhaltige Produkte durch Absenkung der darauf erhobenen Mehrwertsteuer zu kaufen. Das Gutachten ist fundiert und gut ausgearbeitet. Daher bleibt mir nur die Rolle des Nörglers, der nach dem Haar in der Suppe sucht.

 

Zweifel habe ich zunächst an dem Argument, der Staat müsse durch Senkung des Steuersatzes auf nachhaltige Produkte auch Haushalten mit geringem Einkommen ermöglichen, diese zu kaufen. Der Staat wird durch das Grundgesetz zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit verpflichtet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er unmittelbar dafür zu sorgen hat, dass sich jeder alles leisten kann. Ich sehe aktuell Handlungsbedarf bei wesentlich grundlegenderen sozialen Schiefständen als bei der Frage, ob sich ein finanzschwacher Haushalt nachhaltige Produkte leisten kann oder nicht. Ein Beispiel wäre das Thema Gleichheit bei den Bildungschancen. So würde ich eine Verschiebung des Konsums in Richtung Nachhaltigkeit auch bei Haushalten mit kleinem Geldbeutel eher als willkommenen Nebeneffekt einer Steuersenkung auf nachhaltige Produkte sehen, als deren Hauptzweck.

 

Es gibt auch heute noch Gründe, die eine steuerliche Bevorzugung der Kuhmilch gerade aus sozialer Sicht rechtfertigen. Kuhmilch unterscheidet sich in seinen Inhaltsstoffen wesentlich von ihrer pflanzlichen Konkurrenz. Dabei gibt es je nach Basisstoff der Ersatz-Drinks erhebliche Unterschiede. Die besonders beliebte Hafermilch enthält deutlich weniger Proteine und Vitamin B12, die für die Entwicklung von Babys und Kleinkindern sehr wichtig sind. Die Senkung der Steuer auf Hafermilch könnte also durchaus negative Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung haben, wenn dadurch auch für die kleinsten mehr Milchersatz anstatt Kuhmilch gekauft wird.

 

Man muss auch die Preisentwicklung bei Kuhmilch und Milchersatzprodukten beachten. Inzwischen erhält man beim Discounter den Liter einer von Ökotest mit „sehr gut“ bewerteten Hafermilch 10 Cent günstiger als einen Liter fettarme Bio-H-Milch. Der Vergleich findet gegenüber Bio-Milch statt, da ich davon ausgehe, dass die Initiatoren und Unterstützer der Kampagne entsprechend ihrer Sorge um Umwelt und Tierwohl in ihren Cafés Bio-Milch ausschenken. Muss es jedoch bei der Hafermilch Barista-Qualität sein, dann schlägt die Preis-Waage vermutlich wieder zugunsten der Kuhmilch aus. Man kann auch davon ausgehen, dass die hohen Preise bei den Milchersatzprodukten nicht ewig zu halten sein werden. Schließlich sind die Herstellungskosten bei den meisten Drinks wesentlich geringer als bei Kuhmilch. Hafermilch zum Beispiel besteht zu 90% aus Wasser und lässt sich sehr einfach selbst herstellen. Darum wird man bei einer gerichtlichen Klärung entweder die Frage beantworten müssen, warum man mit einer steuerlichen Begünstigung die viel zu hohen Gewinne der Hersteller von Milchersatzprodukten unterstützen sollte, oder die Frage, warum man ein Produkt, das ohnehin schon günstiger ist als das tierische Konkurrenzprodukt, nochmals unter dem Verzicht auf Staatseinnahmen verbilligen sollte.

 

Das bringt uns zu einer weiteren Frage, nämlich, wo bei einer Senkung von Steuern das fehlende Geld eingespart werden soll. Der Gesetzgeber muss ja entscheiden, für welche seiner Aufgaben er weniger Geld zur Verfügung stellt, um die Ausfälle bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer zu kompensieren. Im Ergebnis bedeutet das eine Abwägung zwischen verschiedenen grundgesetzlich verankerten Pflichten des Staates. Oder der Gesetzgeber entschließt sich, die Steuerausfälle an anderer Stelle zu kompensieren. Eine Möglichkeit ist die vom Umweltbundesamt vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Nahrungsmittel. Diese wird auch von Alexander Dobes befürwortet, jedoch sieht er richtigerweise diese Frage außerhalb der im Falle einer gerichtlichen Klärung der Mehrwertsteuerfrage für Milchersatzprodukte zu verhandelnden Thematik. Daher ist es fraglich, ob ein Gericht die Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer Einzelmaßnahme wie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte feststellen wird.

 

Wie Dobes in seinem Gutachten richtig erläutert, hat der Gesetzgeber die sogenannte Einschätzungsprärogative. Das heißt, der Gesetzgeber darf selbst entscheiden, welche gesetzlichen Regelungen er für geeignet und erforderlich hält, um ein bestimmtes legitimes Ziel zu erreichen. Die Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht können prüfen, ob eine beschlossene gesetzliche Regelung grundgesetzkonform und im Einklang mit anderen Gesetzen ist, nicht aber ob sie geeignet und erforderlich ist. Nur wenn ein Gesetz offensichtlich ungeeignet oder unnötig ist, kann es für verfassungswidrig erklärt werden. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Nahrungsmittel hatte ursprünglich das sozialpolitische Ziel, die Versorgung der Bevölkerung mit den Grundnahrungsmitteln zu verbessern. Für dieses Ziel ist die Senkung der Mehrwertsteuer geeignet. Erforderlich ist sie auch, selbst wenn das Ziel auch anderweitig erreicht werden könnte, z.B. durch Subventionen. Wegen der Einschätzungsprärogative durfte sich der Gesetzgeber jedenfalls für die ermäßigte Mehrwertsteuer entscheiden. Die Forderung der Kampagne ist jedoch nicht, eine bestehende gesetzliche Regelung für nichtig zu erklären, sondern eine neue gesetzliche Regelung zu erlassen, nämlich den Steuersatz für Milchersatzprodukte zu senken. Das bedeutet, der Staat müsste in seiner Entscheidungsfreiheit so stark eingeschränkt sein, dass ihm nichts anderes übrigbleibt als die Senkung Mehrwertsteuer für Milchersatzprodukte zu beschließen.

 

Der in dem Gutachten mehrfach zitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021 [2] enthält u.a. den Leitsatz, dass das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung (gegenüber anderen Rechtsgütern, insbes. der Grundrechte) bei fortschreitendem Klimawandel weiter zunimmt. Das heißt, je stärker die Welt von Wetterextremen und klimabedingten Katastrophen heimgesucht wird, desto stärker steht der Staat in der Pflicht, Maßnahmen zur Vermeidung und Reduzierung der menschengemachten Ursachen zu ergreifen. Der Grundsatz des Untermaßverbots verpflichtet den Staat, ausreichende Maßnahmen für einen angemessenen und wirksamen Schutz der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter zu ergreifen. Das gilt wegen Art. 20a GG auch für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz. Um den Gesetzgeber zwingen zu können, Milchersatzprodukte in die Liste der mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegenden Waren aufzunehmen, bräuchten wir also ein Scenario, in dem es praktisch keine andere Wahl mehr gäbe, als alle sinnvollen und wirksamen Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase zu ergreifen. In dem oben genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits festgestellt, dass der Gesetzgeber zulässigerweise das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 und möglichst unter 1,5 Grad festgesetzt hat. Der überwiegende Teil der Wissenschaft geht davon aus, dass dieses Ziel mit den bisher beschlossenen Maßnahmen nicht zu erreichen sein wird. Dennoch dürfte das genannte Scenario noch nicht erreicht sein. Ich hoffe, dass dies auch nie der Fall sein wird. Jedenfalls hat der Gesetzgeber aktuell noch einen gewissen Spielraum darin, wie er die gesetzten Klimaziele erreichen will. Darum glaube ich nicht an einen Erfolg der Kampagne insofern, dass der Gesetzgeber verpflichtet wird, die Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte zu senken.

 

Bei einer Verhandlung der Sache vor dem Bundesverfassungsgericht wird aber mit Sicherheit das Thema einer nachhaltigen Ausprägung des Umsatzsteuergesetzes ausführlich beleuchtet werden. Und die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden, wie schon oft in der Vergangenheit, die Gelegenheit nutzen, der Politik einige mahnende Worte ins Stammbuch zu schreiben. Allein dafür lohnt sich der Einsatz der Suedhang-Betreiber und ihrer Unterstützer.

 

 

Ich wünsche den Initiatoren der Kampagne viel Erfolg und Aufmerksamkeit. Denn wir alle profitieren am Ende von einem Bewusstseinswandel, der schon oftmals durch Gerichtsentscheidungen und deren Begründungen angestoßen wurde.

 

 

[1]: Suedhang Kaffee Zeitung, Seite 8 ff (BLATT-03.pdf (suedhang.org))
[2]: BVerfG, Beschluss des ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, Rn. 198

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Kommentare: 3
  • #1

    Petra Blum (Donnerstag, 12 Oktober 2023)

    Vielen Dank für die ausführliche Stellungnahme zum Thema Mehrwertsteuerungleichheit zwischen Milch- und Milchersatzprodukten. Es ist sehr hilfreich, eine so umfassende, sachliche Auseinandersetzung zu lesen.
    Danke für die Recherche und die Veröffentlichung

  • #2

    Alexander Dobes (Donnerstag, 26 Oktober 2023 17:04)

    Lieber Herr Weber,

    Vielen Dank für Ihr Gutachten zu meinem Gutachten! Ich teile Ihre Skepsis bezüglich einer konkreten Verpflichtung des Gesetzgebers durchaus. Eine Verletzung des Untermaßverbots scheint in jedem Fall fraglich. Allerdings soll sich Art. 20a GG ja in erster Linie an den Gesetzgeber richten. Was ist, wenn einem Gesetz keinerlei Überlegungen zum Umweltschutz zugrunde liegen, obwohl die CO2-Grenzwerte in einzelnen Sektoren bereits überschritten wurden? Ist er nicht zumindest verpflichtet sich in der Begründung und ggf. einer neuen Akzentuierung des Umsatzsteuergesetzes mit solchen Erwägungen auseinanderzusetzen?

    Man muss die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers sicherlich ernst nehmen. Aber bei einem solch willkürlichem Katalog, wie ihn das Umsatzsteuergesetz beinhaltet, der teilweise jeder Rationalität und Logik widerspricht, sollten ihr auch gewisse Grenzen gesetzt werden können.

    Ich denke, auch das durch einen möglichen Prozess ein Bewusstseinswandel begünstigt werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit dem von Ihnen zitierten Urteil bereits progressive Ansätze gezeigt. Aufgrund der Verletzung der Selbstverpflichtung des Gesetzgebers (nach dem Urteil) wird auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber nicht gerade wohlgesonnen sein. Ich bin optimistisch, dass es jedenfalls eine Rüge aus Karlsruhe geben wird!


  • #3

    Klaus Weber (Donnerstag, 26 Oktober 2023 22:23)

    Lieber Herr Dobes,
    vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie schmeicheln mir, wenn Sie von einem Gutachten sprechen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie die die Sache weitergeht.